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Die endlose Verwertung von Wert

Aktualisiert: 25. Mai 2020

Oder:

Wie sich die Struktur einfach alles einverleibt

-Eine Kampfansage-


Das ist ein bewusst polemischer Eintrag, der ausschließlich meine persönliche Meinung wiederspiegelt und nicht repräsentativ für das Projekt ist (und genau darum ist er repräsentativ).


Ohne die Kenntnis des Essays ist dieser Eintrag weder inhaltlich noch kontextuell verständlich. Die Bücher sind zwar derzeit vergriffen, aber das Essay gibt es ja kostenlos per Newsletter zugeschickt.

Kapital aus Marx schlagen

Das nebenstehende Bild ist ein Werbeplakat für den Fernsehkanal Arte.

Neulich bin ich in Berlin daran vorbeigelaufen und dachte: Wow, da hat ja jemand richtig was ver-standen. Cooler Sprayer!

Und dann auch noch über Werbung mit Karl Marx, wie subversiv.


Erst beim zweiten Plakat ist mir aufgefallen, dass die Sprayerei zur Werbung dazu gehört.

Es gibt noch eine zweite Variante aus derselben Reihe mit dem Satz „Werbung entfremdet“.


Das Bild ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Struktur sich alles einverleibt.

Kaum etwas könnte ein gelungenerer Marketing-Gag sein als ein Protest gegen Werbung.


„‘Alternativ‘ und ‚unabhängig‘ bezeichnen nicht etwas außerhalb der Mainstream-Kultur; sie sind viel eher Styles, sogar die dominanten Styles, innerhalb des Mainstreams. […] Nichts läuft besser auf MTV als ein Protest gegen MTV. […] Jeder Spielzug ist […] ein im Voraus festgeschriebenes Klischee […] sogar das zu bemerken, ist ein Klischee.“ *


Sich mit narzisstischem Interesse beim Denken zuhören wird mit Bewusstheit gleichgesetzt: Innerlich kritisiert man „das System“ und Werbung, ohne sich im aktiven Handeln dagegen zu positionieren. Statt Marx zu lesen und zu verstehen, konsumiert man passiv eine lauwarme Aufbereitung. Deshalb ist die Werbung gelungen.

Werbung gegen Werbung ist dann „cool“, anstatt als eine völlig paradoxe Systemerweiterung erkannt zu werden. Sie hat ihr Ziel erreicht, das Individuum bleibt weiter im System, in dem eine „gute Art, zu konsumieren“ suggeriert wird.


„Solange wir (in unseren Herzen) glauben, Kapitalismus sei schlecht, sind wir frei, mit der Teilnahme am kapitalistischen Tausch fortzufahren. […] Im Allgemeinen ist Kapitalismus von dieser Struktur der Verleugnung abhängig. […] Wir können Geld in unseren Handlungen nur fetischisieren, weil wir in unseren Köpfen schon eine ironische Distanz zum Geld eingenommen haben.“ *


Ich will im Folgenden aufzeigen, wie auch unser Buch eine „richtige Art, zu konsumieren“ geworden ist, ohne dass es zu konkreten Handlungen und Verhaltensänderungen führt.

Man möge mir nachsehen, dass dieses Thema bei mir mit Ladung verbunden ist, denn es ist wirklich zum Verzweifeln.


Einmal vorne angefangen:

Wir haben die erste selbstgedruckte Auflage unseres Buches in rasender Geschwindigkeit verkauft und viel Feedback dazu erhalten.

Auch in der Gemeinschaftsszene haben wir dadurch irgendwie unseren Bekanntheitsgrad gesteigert.

Erstes Fazit:

Das Buch scheint sich viel schneller zu verbreiten als das Essay, und auch mehr Resonanz zu erzeugen. Und das, obwohl es das Essay kostenlos auf unserer Website gibt, und wir in jedem Buch und wo immer wir hinkommen Visitenkarten mit einem Link zu eben dieser Website verbreiten. Das Buch hingegen kostet 17,50€ und ist von der Seitenzahl sechs Mal so umfangreich.

Während ich das schreibe, klingen mir noch die Menschen im Ohr, die uns sagten, das Essay sei einfach zu lang zum Lesen. Ich schätze sogar, dass so ungefähr 30% unserer bisherigen Königskartenspiel-Teilnehmer es nicht oder nur teilweise gelesen haben, obwohl es immer Bedingung gewesen ist.

Da könnte man doch jetzt sagen, wir haben allen Grund zur Freude!

Die Menschen haben es endlich gecheckt und sind gierig nach der neuen Information! Sie lecken sich die Finger danach, 300 Seiten populärwissenschaftliches Geschwurbel in ihr Hirn zu saugen! Seht, schon haben wir mehrere (!) Anfragen von Leuten, die jeweils 10 Bücher nachbestellen wollen!


Ich sehe das ganz anders, vornehmlich als einen strukturellen Abwehrmechanismus auf den Einschlag unserer Arbeitshypothese, aber auch der Tatsache, dass wir trotz unseres konfrontativen Ansatzes nicht längst verstritten auseinander gegangen sind. Allein das ist ja schon eine verunsichernde Tatsache, wenn man sich die Antagonismen und die Subgruppenbildung in bestehenden Projekten vergegenwärtigt.

Was passiert ist das, was wir im Buch die „Elevation in die Elite“ nennen: Der neue Impuls kann strukturell nicht exkommuniziert werden, weil er zu viel Kraft besitzt, also wird er in das bestehende System einverleibt.


Das alles passiert natürlich nicht bewusst, und jeder handelt wie immer nur in allerbester Absicht. Vordergründig scheint es darum zu gehen, unsere Ergebnisse zugänglich zu machen – dabei bleibt das Handeln der Buchbesteller aber konsequent inkonsequent. Es ist daher unverkennbar, dass hinter der vermeintlich guten Absicht die strukturelle Agenda lauert: Der zur Handlung auffordernde Inhalt wird intellektualisiert und für gepflegte Stammtisch-gespräche instrumentalisiert.

Dabei ist unser Buch ja eben kein theoretisches Werk, sondern eine Aufforderung zum aktiven Mitmachen, oder doch zumindest eine Einladung zur aktiven Vernetzung.

Aus diesem Blickwinkel ist jeder, der das Buch bestellt, aber uns nicht schreibt oder unsere Website besucht und sich auf dem Newsletter einträgt (und damit zugleich auf eine interaktive Mailingliste), für mich ein bloßer Voyeur, eine Zecke innerhalb der „alternativen Szene“, die panikartig nach allem greift, was das „Next Big Thing“ zu sein scheint, um dabei zu sein. Letztlich wird es dann gelangweilt zur Seite gelegt: „Das kenne ich ja jetzt auch schon und es ist mir zu [hier beliebiges Adjektiv einfügen, wahlweise: „verkopft“].“

Die Struktur hat ihr Ziel erreicht: Alles bleibt wie gehabt.

Wer aus dieser Position heraus Bücher verteilt oder unseren Ansatz referiert, ohne nicht auch auf das Essay als Grundlage hinzuweisen, der ist für mich ein Narzisst, der unser gelungenes Cover als seine Wertsteigerung auf dem sozialen Markt verwertet: „Schau mal, was ich habe, davon gibt’s nur wenig. Aber ich habe Connections, ich kann dir eins verschaffen!“

Einfach nur das frei verfügbare Essay zu empfehlen würde diese Masche des sich interessant Machens stören. Die eigentlich ernüchternde Erkenntnis, dass kaum einer der begierigen „Zuhörer“ sich je ein Exemplar herunterlädt, wird verdrängt von der Momenteuphorie der narzisstischen Selbstinszenierung. Die Erkenntnis, dass es hier vielleicht gar nicht um Kontakt, Interesse und Verständnis geht, sondern um schiere Neugier gegenüber dem „Next Big Thing“ würde die entfremdete Isolation aufzeigen und einsam machen.

So erkläre ich mir, dass wir zwar rasend schnell unsere Bücher verkauft haben, aber sich auf der Website kaum jemand angemeldet hat.


Dazu kommt wahrscheinlich noch die Verwertungslogik: Vielleicht kann man das Königskartenspiel, idealerweise unter anderem Titel, ja auf seinem nächsten Kurs als eigene Erfindung gewinnbringend vermarkten.

Der Zweck heiligt die Mittel: Wo Gewinn erwirtschaftet werden kann, treten Inhalt und Kontext ehrfurchtsvoll in den Hintergrund. Wie bei der Kapitalisierung von Marx.


Dem fliegenden Spaghettimonster sei Dank ist das nicht alles.

Wir sind mit zwei Gemeinschaften in Kontakt, die tatsächlich ein Königskartenspiel spielen wollen. Diese Entwicklung sehe ich als neu und deshalb als sehr spannend. Diese Menschen, die auf verschiedensten Wegen auf unser Buch gestoßen sind, wandeln den Input in konkrete Handlung um. Genau das war und ist unsere Absicht.


Natürlich ist das Buch vielschichtiger, präziser und umfangreicher als das Essay. Für die Entscheidung, etwas grundsätzlich anderes auszuprobieren, ist ein besseres Verständnis unseres Ansatzes aber überhaupt nicht wichtig. Es ist auch nicht wichtig, unsere Grundannahmen und Folgerungen zu glauben.

Alles, was es braucht, ist folgende Bereitschaft: Experimenthalber anzunehmen, man sei tatsächlich egoistischer als man denkt, und dass man das nur durch den Spiegel der anderen sehen kann.

Eine gelehrte Debatte über unser Buch ist also in diesem ausschließlich handlungsorientierten Zusammenhang wirklich absurd. Es zeugt einfach nur davon, dass man den Inhalt nicht verstanden hat und nun Gründe sucht, es nicht auszuprobieren.

Dennoch scheint genau das zu passieren: Eine Debatte, an der wir nicht teilnehmen, in der unsere Methodik präsentiert und diskutiert wird von Menschen, die sie nie ausprobiert haben. Der Autonomievorbehalt bleibt unangetastet, und genau das ist das Ziel.

Und wenn die Struktur die inhaltliche Relativierung nicht schafft, kommt es zu unserer persönlichen Diffamierung in unserer Abwesenheit, wie wir erst neulich wieder beobachten konnten.

Kein Wunder, denn der Input, den wir geben, und die Themen, die wir ansprechen, können nicht so leicht weggewischt werden. Es wird ja immer offensichtlicher, dass der komplexe Heiratsschwindel von Gemeinschaften schlichtweg nicht aufgeht. Um aber trotzdem nichts ändern zu müssen, werden wir als letzte Bastion der Struktur eben persönlich abgewertet. Entweder sind wir dann zu verkopft, oder zu pessimistisch, oder wir kommunizieren zu abwertend. Einwände, die in Anbetracht des Inhalts des Essays nicht die geringste Relevanz besitzen, Verkörperungen des Autonomievorbehaltes.

Willkommen im Guruparadox.


Heil Discordia!

Pauline


* Zitate aus: "Capitalist Realism. Is there no Alternative?", Mark Fisher.

Gibt es seit letztem Jahr auch auf Deutsch und sei hier nochmals herzlichst empfohlen.



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